Hör auf Betty

Die Sonne schien auf ihn herab und ließ seinen ohnehin schon brennenden Körper erwärmen. Er spürte den Schmerz, der sein Fell zucken ließ, doch abgesehen von den unkontrollierten Zuckungen, konnte er sich nicht bewegen. Er konnte nicht einmal blinzeln, während er auf den Gulli starrte, der schon anfing zu rosten. Er dachte, dass so viele Schmerzen den Körper lähmen würden, doch genau das Gegenteil war der Fall. Er spürte die kleinen Sandkörner, die in dein Fell drücken, die Sonne, die auf seinem Fell brannte und natürlich den unglaublich starken Schmerz, der fast unerträglich war.
Er wusste, dass er gleich sterben würde und hatte nie wirklich über den Tod nachgedacht. Denn er war doch noch ein junger Kater, der sich über nichts Sorgen machen musste und dann hatte er einmal nicht auf die Autos geachtet.
Er war einfach dem Schmetterling gefolgt und über die Straße getrabt, doch dann wurde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen, er flog durch die Luft und landete schließlich mit einem Schmerzens Aufschrei auf der Straße, wo er jetzt lag.
Bei dieser Erinnerung entfuhr ein leises Miauen seiner Kehle und er fing an zu schnurren. Wenn Katzen sehr große Schmerzen haben, fangen sie an zuschnurren. Dieser Schmerz steigerte sich ins unerträgliche und er wünschte sich jetzt nicht allein zu sein. Er wünschte sich, jemand wäre bei ihm und würde seine Pfote halten, während er langsam starb.
Doch es war niemand da und es würde auch niemand kommen. Außerdem wünschte er sich das Auto hätte ihn gesehen und wäre ausgewichen. Er atmete die letzten Spuren der Abgase, die das Auto hinterlassen hatte, ein und schmeckte den bitteren Geschmack.
Früher hatte er sich immer über diesen Geruch geärgert, doch nun schien er ihm belanglos. Was zählt denn schon, wenn jeden Moment der Rest des Lebens aus ihm gesaugt werden würde und er verschwindet?
Er wird einfach nicht mehr sein. Und weil er dann nicht mehr ist, kann ihm das auch nicht mehr kümmern.
Der junge Kater hörte sein Herz schlagen. Es brach die Stille und schmerzte ihm in den Ohren.
Er bereute es. Er bereute diese ganze Situation. Hätte er doch dieses verdammte Auto gesehen! Dann wäre er nach Hause zurückgekehrt und hätte fröhlich mit seinem Bruder gespielt.
Würde sein Bruder ihn vermissen?
Würde ihn irgendjemand vermissen?
Er hoffte, dass er jemanden so viel bedeutete, dass er um ihn trauerte. Dass er ihn an einem anständigen Ort beerdigte. Am liebsten unter der jungen Buche, die erst seit ein paar Jahren wuchs und auf die er und sein Bruder immer geklettert waren. Einmal war er runter gefallen, doch ihm war zum Glück nichts passiert. Doch jetzt lag der junge Kater auf der Straße, denn nun war etwas passiert. Und jetzt würde er sterben.
Er wusste es. Er war sich ganz sicher. Doch dennoch hatte er einen kleinen Funken Hoffnung, dass er überleben würde. Dass ihn jemand finden und helfen würde.
Die Schmerzen steigerten sich ein letztes Mal. Dann war alles vorbei.
Er war allein auf der Straße gestorben. Leidend.
Und die letzte Frage die sich in seinem Kopf immer wiederholte war:
“Würde mich jemand vermissen?“
Eine Frage, auf die er nie eine Antwort bekommen würde.